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Winzer mit Herz & Verstand

Wie steigen wir ein, in die bemerkenswerte Weinwelt des Winzerhof Linder? Diese Frage stellen wir uns gerade, als uns eine Nachricht über die vielen internationalen Gold-Auszeichungen erreicht, die sie in diesem Jahr erhalten haben. Damit lässt sich starten und doch ist die Qualität der Naturweine nur ein Teil des Ganzen. Die Menschen, ihre Werte, Haltung und die Ideen sind genauso erzählenswert – let´s  start: Blog Header 1920 1000 Linde3

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nser Kastenwagen setzt langsam zurück. Wir haben uns verfahren, mitten in den Weinbergen am wunderschönen Kaiserstuhl. Plötzlich ein starker Ruck, wir stehen. Der Blick in den Rückspiegel verrät: gerade noch rechtzeitig. Nur wenige Millimeter trennen das mächtige Hinterrad von einem imposanten Loch, das uns wahrscheinlich die Achse gekostet hätte. Glück gehabt, die Fahrt geht weiter, bis wir ein paar Kurven später den Winzerhof Linder erreichen, der in Alleinlage liegt, romantisch in die Natur gebettet.

Auf Instagram haben wir ein Bild mit einem schwarzen Lamm gesehen, in das wir uns sofort verliebt haben und was wir unbedingt kennenlernen möchten. Natürlich wollen wir auch die Weine probieren und mehr über den Anbau nach Demeter-Richtlinien erfahren. Eine Flasche »Gewürzschlawiner« haben wir bereits beim Besuch im »Heinrich sein Enkel« verkostet. Torben Bunte hat ihn uns empfohlen, als perfekten Einstieg in die Naturweinwelt. Wir sind in dieser Hinsicht schon länger Überzeugungstäter, interessieren uns aber sehr für Empfehlungen, die wir weitergeben können.

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»Du kannst die Welt nicht verändern, du kannst nur dich verändern. Aber wenn du dich veränderst, veränderst du die Welt.«

Ronald Linder ist ein Quereinsteiger. Eigentlich war er auf dem besten Weg Filmemacher zu werden. Doch es kam anders.

Als wir mit ihm und seiner Frau Elena bei einem ersten Glas Wein ins Gespräch kommen, wird schnell klar, dass nicht nur das, was wir im Glas haben, anders ist. So komplex es auf dem Gaumen zugeht, ist auch das Leben und Denken der zwei. Ronald sprudelt munter drauf los und wir sind froh, dass unser Aufnahmegerät alles aufzeichnet. Die größte Herausforderung folgt später am Rechner, wenn wir entscheiden werden, worüber wir erzählen wollen.

So kommt es, dass es in dieser Story zwar auch um Wein geht, aber eben auch um Goethe, Schiller und Steiner; um Boden, Lehm, Sedimente und Wasser; um Schafe, Lämmer, Hühner und Kinder; um ein Verständnis von Natur, Geist und menschlicher Entwicklung.

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m Glas leuchtet es hellorange, ein blasser Kupferton. Obwohl noch etwas kalt, vernehmen wir ein verführerisches, feinfruchtiges Bouquet. Der erste Schluck ist saftig, komplex, aber anders als das, was man gemeinhin von einem Grauburgunder kennt. Trotz des etwas höheren Alkoholgehalts hat der Wein auch etwas Leichtes, Spielerisches, gerne würden wir mehr Zeit mit ihm verbringen.

»Grauburgunder 64 SE» steht auf dem weißen Etikett, das ein Schafkopf ziert. Der erste Bock hieß Charlie, der zweite Claude und der neue heißt Chico Harry. Damit keine Inzucht stattfindet, werden sie alle 2 bis 3 Jahre ausgetauscht und bleiben auf dem Etikett verewigt.  Ronald hat sie in vielen Versuchen selbst gestaltet.

Eigentlich wollte er ja Mangalitza Wollschweine in die Reben schicken, aber das ist eine andere Geschichte … Nun erfreuen sich beide an ihren Rebschnucken, die das ganze Jahr über im Weinberg stehen und die Böschungspflege machen. Wir lernen eine Idee des Permakulturansatzes: Bringt man ein neues Element, dann folgen 4 bis 10 zusätzliche. Wie beim Schaf, dessen “Köddel” Mistkäfer und weitere Insekten anlocken, dadurch wiederum kommen andere Vögel … So spannt man ein Universum auf.

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Elena, die im Haus mit ansteckender Leidenschaft die Weinproben macht, erklärt: Die Zahl auf den Etiketten steht für den Ertrag an Kilos pro Ar. Im konventionellen Anbau liegt dieser in der Regel bei 120, sie streben ungefähr die Hälfte an, liegen manchmal sogar noch weit darunter. Schon hier wird deutlich, es geht nicht um Maximierung.

Während Corona haben sie sich mit vielen Online-Weinproben neu erfinden müssen. Und das zu einer Zeit, als es gerade so richtig losging. Der Winzerhof hatte vom renommierten Eichelmann eine Auszeichnung als »Entdeckung des Jahres« erhalten. Diese Kategorie gab es zuvor nicht und wurde extra für sie eröffnet. Als sie sich mit ein paar Flaschen beworben haben, dachten sie sich nicht weiter etwas dabei. Ihnen fiel auch nicht auf, dass deren Verkoster privat nachbestellte. Erst als sie die Einladung ins Heidelberger Schloss erhielten, schwante ihnen, was da gerade passierte. Im Festraum war die Crème de la Crème der Winzer versammelt, Sommeliers und Journalisten. Für Elena und Ronald, die sich in der Szene nicht auskennen, weitestgehend Unbekannte. Im Anschluss an die Ehrung erklärte Ronald erst einmal, was zu tun ist, wenn man eine sichere Spontangärung haben will – einen “Vorteig” machen.  Das beeindruckte und nach der Veröffentlichung wurde auch die Gastronomie auf den Winerhof aufmerksam. Dann kam Corona.

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Einen Vorteig kennen wir nur vom Brot backen, gaben wir zu und haben keine Idee, was das mit Wein zu tun haben soll? Ronald klärt uns auf:

Mit einem kleinen Behälter aus Edelstahl geht er ca. zwei Wochen vor der eigentliche Lese in den Weinberg und verarbeitet einige Trauben direkt zu einer Art Hefeansatz. Dieser bleibt dann im Behälter direkt im Weinberg und beginnt spontan, nur mit den vor Ort vorhandenen Hefen, zu gären. Die spätere, eigentliche Lese erfolgt übrigens nach dem Mondkalender und richtet sich nach Fruchttagen und Blütentagen. Wenn die Maische dann angesetzt wird, kommen die ca. 20 Liter des Vorteigs dazu. Der neue Wein wird sozusagen mit den ganz ursprünglichen Hefen des jeweiligen Weinbergs geimpft. Next Level Naturwein.

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»Wir versuchen so wenig wie möglich zu tun, probieren viel, lenken aber nie in eine konkrete Richtung. Spontangärung findet bei uns im Weinberg während der Gärung des Vorteigs statt. Die Weine und Maischen werden dann mit den aktuellen Vorteigen der Lage und des Jahrgangs geimpft, so verhindern wir die Bildung flüchtiger Säuren und schaffen die reinen Naturweine die wir selbst so lieben. «

Beitragsbilder Hoch 2maerz2021 Mehr zur Vorteig-Methode

Naturweine im Mainstream angekommen

Inzwischen haben wir das Naturweinpendant zum Grauburgunder im Glas »DR GRAU NATÜR 33« legt farblich mit Orange-Rosarot noch eine Schippe drauf. Es wird würzig, kräuterig. Am Gaumen ist der Wein jetzt schon sehr saftig, dazu kommt eine straffende Phenolik. Enorme Konzentration durch sehr geringen Ertrag, man kann den Wein geradezu kauen. Im Dezember erhielt der 2018er bei der Grauburgunder Trophy des Magazins Falstaff mit 92 Punkten die zweithöchste Punktzahl von 142 eingereichten Weinen. Ronald freut sich, dass sein trüber, ungeschwefelter Naturwein mit so vielen klassisch ausgebauten Weinen mithalten kann. Eine Bestätigung dafür, wie sehr die Naturweine mittlerweile im Mainstream angekommen sind.

Es empfiehlt sich ja immer, neben Wein auch stets zum Wasser zu greifen. Das macht aus dem vor uns stehende Krug besonders viel Freude. Er stammt von Uta Kessler aus dem Umkreis. Ronald macht die Griffe aus eigenem Holz. Leider gibt es die Schmuckstücke noch nicht zu kaufen, wir werden uns ein wenig gedulden müssen.

Kooperation, Vernetzung, Verknüpfung, gute Verbindungen, das wird hier gelebt. »Ich sehe den Hof wie eine Schule«, sagt Ronald. Während seines Aufbau-Studiums in Rostock ging es auch schon um geisteswissenschaftliche Betrachtung. Nun lauschen wir interessiert seinen Ausführungen über die Naturwissenschaften der Anthroposophen, die auf Goethes Morphologie beruht. Er erzählt von Schillers Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen. »Auf einmal habe ich für mich verstanden, dieses kleine Weingut könnte ein idealer Ausgangspunkt sein, eine Keimzelle für das, was Schiller „ das soziale Kunstwerk” nennt. Nebenan ein verrücktes Gemeinschaftshaus, eine Anlaufstelle für Ideen und für Menschen mit guten Ideen. So genießen wir die Freiheit in alle möglichen Richtungen.«

Auch für uns wird sichtbar, dies ist weit mehr als ein Winzerhof.

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Am wenigstens bekannt ist: für 1 Liter Wein verbraucht man 10 Liter Wasser

Nebenan mauert Maik an den Schalen des neuen Kellers. Der wird doppelwandig und in der Mitte mit Lehm gefüllt. 1.20 Meter in der Breite sorgen dann für eine wunderbare, passive Kühlung. Der große Tank hinten wird mit eingestampft. Er wird 20.000 Liter Regenwasser fassen. Zusätzlich werden Schichtfilter eingebaut aus Sand, Lehm und zur Sicherheit noch eine Schicht Aktivkohlefilter. Über die Dachterrasse auf dem nebenstehenden Wohnhaus wird es einen Teich mit Schilf geben, das hochgepumpte Abwasser wird gereinigt. Ein geschlossener Kreislauf. Am Ende fließt das aufbereitete Nass in Trinkwasserqualität.

2013 kam Maik Merbitz auf den Winzerhof. Zuerst ein Gestrandeter, dann ein Suchender und heute ein treuer Wegbegleiter auf dem gemeinsamen Weg zu einem sinnvollen Weinbau.

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Leben und leben lassen

Besucher haben sich angekündigt und wollen sich von Elena beraten lassen. Wir schnappen uns die Kamera, die Gläser, Lamm Willi und folgen Ronald in das Gemeinschaftshaus.

Der kleine Vierbeiner hat sich tief in unsere Herzen gegraben. Nach seiner Geburt ließ seine Mutter ihn alleine, wahrscheinlich hat sie schon früh erkannt, was sich später bewahrheiten sollte. Der kleine Kerl wird es nicht schaffen. Die beiden Ersatzeltern überlegen in diesen selten Fällen immer wieder, ob und wie weit sie in die Natur eingreifen können. Und wir überlegen, ob wir an dieser Stelle überhaupt darüber schreiben sollen … Ja, er hat unseren Besuch zu einem ganz besonders schönen Erlebnis gemacht! Danke und machs gut kleiner Willi 😍

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Im Gemeinschaftsraum flackert gemütlich das Kaminfeuer und wärmt das gesamte Haus, das noch nicht komplett fertiggestellt ist. Man(n) macht hier alles selbst und ist stolz darauf – mit Recht!

Nach einer starken Kaffeepause stehen die Roten zum Verkosten bereit. KAISER_CUVÉE_48 und CABERNET SAUVIGNON_33 NATÜR. Mit 33 Kilo Trauben pro Ar ist dieser Wein der Ertragszwerg im Sortiment. Ansonsten ein Riese. Dichtes, vielschichtiges Bouquet, reife, rote Paprika, dunkle Schokolade, Würze und angedeutete Schwere. Er ist noch jung, aber dennoch kraftvoll. Ein sehr harmonisches Miteinander von Frucht, Säure und Tanninen. Ein typischer Cabernet Sauvignon, garantiert wieder mit einigem Alterungspotenzial. Unsere Bestellliste verlängert sich um weitere Kartons und wir fragen uns: Wie macht er das nur, als Quereinsteiger?

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»2011 habe ich angefangen und von meinem Vater 40 Ar übernommen unter der Prämisse, ich möchte aufhören zu spritzen«, erzählt Ronald. Sein Urgroßvater ist morgens noch mit dem Fahrrad und der Rückenspritze in den Weinberg gefahren. Mittags standen die Kunden in seinem Laden und haben Spritzmittel gekauft. Und wir sind nun der erste Biobetrieb in der größten Gemeinde hier im Kaiserstuhl, und wir sind der kleinste Betrieb in Endingen der nicht nur Bio ist, sondern seit 2 Jahren komplett spritzmittelfrei oder kupferfrei ist.

Große Teile des Kaiserstuhls werden konventionell bewirtschaftet – leider immer noch nach dem Motto: Viel hilft viel. »Wir müssen lernen, individueller zu kultivieren. Raus aus dem Einheitsbrei von chemisch-technischer Bewirtschaftung.«

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»Ein gr0ßer Wein ist ein Wein, der bei einer Qualitätsweinprüfung in Freiburg versagt, nicht weil er Fehltöne hat, sondern weil er sich abhebt, etwas Besonderes ist, Charakter, ja Seele hat.«

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Am großen Fenster laufen die Hühner mit ihrem Hahn vorbei, scharren im Sand und erobern Kisten aus Holz. In der Ferne blickt man auf die Weinberge. Wunderschöne Aussichten. Da kommt man leicht ins Nachdenken über Zusammenhänge.

»Erst haben wir den Boden missachtet, das haben wir mittlerweile gelernt, aber die Blattoberfläche missachten wir immer noch. Wir spritzen chemische Sachen drauf und behaupten, dass wir der Pflanze etwas Gutes tun. In Wahrheit aber ist es ein antibiotischer Prozess, wenn wir Kupfer und Schwefel spritzen. Wir töten alles ab, was darauf lebt in der Hoffnung, dass wir den einen Organismus, der uns stört, auch erwischen. Deswegen arbeiten wir jetzt probiotisch, stärken die Pflanze, wir helfen ihr, sich weiterzuentwickeln.«

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Elena hat die Weinprobe beendet und legt ein paar Scheite Holz nach. Wir bekommen noch ein paar leckere Käse-Kostproben vom Melcherhof. Der steht auch auf unserer Liste, den Besuch verschieben wir aber auf das nächste Mal.

Eigentlich könnten wir jetzt noch über die zwei süßen Kinder schreiben, die, von Oma begleitet, mit einem Kästchen voller selbst gesammelter Kräuter hineinplatzen und wissen wollen, woran man Giersch erkennt. Drei mal drei Blätter und ein dreieckiger Stil, so die Antwort.

Oder über den Ackerbau, den sie auf 5 Hektar betreiben, mit Getreide für Mehl und 2 Hektar Soja für Taifun. Eine gute Wechselkultur, relativ neutral.

Oder über die Frage, ob man die Welt mit Bio ernähren kann? Absolut, die (begründete) Antwort.

Oder über die Arbeit bei den Grünen, über Wüstenbegrünung in Ägypten über die Reblaus oder …

Wir beenden an dieser Stelle die Story über den Winzerhof Linder, weil schon in unsere Köpfe nicht mehr hineinpasst. Noch beim Schreiben sind wir begeistert von so viel Ideen, Pioniergeist, der Offenheit und nicht zuletzt auch von den guten Weinen. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall und wem ein Trip an die Grenzen Frankreichs und der Schweiz zu weit ist, der sollte sich wenigstens ein Glas »Schlawiner« gönnen.

Danke für diesen wundervollen Tag, auf bald!

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Ronald Linder