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Walnussmeisterei – Lass knacken!

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Den Termin haben wir versucht rechtzeitig zu vereinbaren – aus unserer Sicht, da war es Mitte November. Und natürlich platzen wir damit in den vollsten Kalender im Jahr. Eine freundliche Mitarbeiterin schickte uns dann drei Vorschläge für Anfang Dezember mit einem Zeitfenster von jeweils 2 Stunden.

Wo bitte liegt noch einmal Herzberg? Die Gemeinde mit knapp 700 Einwohnern, befindet sich im Landkreis Ostprignitz-Ruppin in Brandenburg.  Google Maps spuckte für die 273 km eine Fahrzeit zwischen 2 h 46 min und gut 3 Stunden aus. Wir haben es so gewollt. Zu unserer Vorstellung einer Weihnachtsausgabe gehören schließlich auch Nüsse. Warum eigentlich?

Wir kennen sie aus Kindertagen vom Weihnachtsteller (auch, wenn ich sie meist verschmäht habe und lieber zu Marzipan und Fondantsternen griff, damals). Nussknacker aus Holz, bunt bemalt gehörten zur Dekoration wie Engel, goldene Kugeln und Lametta.

Inzwischen ist es fast Ostern. Auch diese Story hat es nicht in die Dezemberausgabe geschafft. God laughs about plans und F*** Corona. Inzwischen haben wir gelernt damit umzugehen und das Beste daraus zu machen. Nüsse zu Ostern schmecken schließlich genauso gut, und einen Schuss extra Energie und Vitamine, um unser Immunsystem auf Touren zu bringen, können wir in diesen (Krisen)Zeiten besonders gebrauchen.

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ie Fahrt in den Osten ist reizvoll und auch ein wenig abenteuerlich, irgendwie ursprünglich: weite Felder, sanfte Wälder, einige Flussauen, viele Schlaglöcher, Rehe, Füchse und ein Storch. Der ist im Herbst wegen eines verletzen Flügels nicht mit seinen Artgenossen in den Süden geflogen. Dafür hat es «Schwarzweißchen» in die überregionale Presse geschafft, es geht ihm gut.

Es ist schwierig, an einem nasskalten, grauen Dezembertag in eine vorweihnachtliche Stimmung zu kommen. Das ändert sich schlagartig, wenn man den Hof der Walnussmeisterei Böllersen betritt. 

Vivian begrüßt uns mit ihrem jüngsten Spross auf dem Arm. Mir fällt der Satz ein: “Sie managt ein Familienunternehmen”. Genau das tut sie! Im Grunde managt die zweifache Mutter zwei Familienunternehmen. Scheinbar problemlos switcht sie zwischen den verschiedenen Rollen. Sie bittet uns herein an ihren großen Holztisch, schnallt sich nach ein paar vergeblichen Beruhigungsversuchen den Lütten auf den Rücken und macht uns erst einmal einen Kaffee.

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Die Walnuss begleitet Vivian schon seit ihrer Kindheit. Im heimischen Garten gab es einen großen Walnussbaum, wie in fast allen Gärten in der Nachbarschaft. Im Herbst wurden die Walnüsse geerntet und und in den Badezimmern und Dachböden gewaschen und getrocknet. Der Ertrag eines Baumes reichte bei guter Ernte für 4-5 Familien und es kam nicht selten vor, dass sie als Kinder die Nüsse über den Zaun verkauften. Mittlerweile ist die Walnuss Bestandteil einer gesunden Ernährung und das ganz Jahr verfügbar. Warum aber sind unsere Supermärkte voll mit kalifornischen Walnüssen, warum gibt es kaum welche aus dem deutschen oder europäischen Markt? Diese Frage und die Vermutung, dass das ökonomische Potenzial in Deutschland bei Weitem nicht ausgeschöpft ist, beschäftigt Vivian so sehr, dass sie ihre Masterarbeit und ein Buch darüber schreibt.

Blog Aufmacher 1900 Walnuss10 “Gott gab uns die Nüsse, doch er knackt sie nicht auf.”
Johann Wolfgang von Goethe

Im Studium bestätigte sich Vivians’ Annahme, dass es zwar einen riesigen Bedarf, aber kaum einen heimischen Walnuss-Anbau gibt. Macht die kalifornische Sonne tatsächlich bessere Nüsse?

Um das herauszufinden, sollte nach all der Theorie die Praxis folgen. Vivians Traum, einen Walnussanbau zu betreiben, gestaltete sich zunächst schwieriger als gehofft. Sie und ihr Mann Marcel wollen Unternehmertum neu denken und sich nicht nur auf ein lineares Wachstum und Profitmaximierung konzentrieren. Der Businessplan erschien den Banken nicht lukrativ genug. Ein konventionelles Finanzsystem kann sich eine Betriebsführung, die zwar auf Ertrag, aber weniger auf Skalierung ausgelegt ist, nicht vorstellen. Auch die Suche nach geeignetem Land entpuppte sich als Herausforderung. Die Landpreise über öffentliche Ausschreibungen waren horrend und unterstützende Kontakte zu Landwirten oder Dorfgemeinschaften hatten sie nicht. Eine Anzeige in den Brandenburger Regionalblättern führte unerwartet zum Erfolg. Vivian und Marcel konnten 2015 passendes Land von einer Privatperson kaufen. Am Ende halfen die Ökonauten, eine privat organisierte Bürger-Land-Genossenschaft, bei der Finanzierung. Der Hof kam zwei Jahre später hinzu. Im Frühling 2015 war es dann soweit, Vivian und Marcel durften ihren ersten “eigenen” Acker betreten. Heute stehen auf den 4,5 ha Grünland 200 Walnussbäume in über 30 verschiedenen Sorten. Ein idyllischer Walnusshain inmitten der Veltener Luchwiesen. Ihrer Vision einer deutschen Walnuss-Erzeugergemeinschaft mit Schlagkraft und Humor sind sie einen großen Schritt näher gekommen. 

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Pionierin der Walnüsse made in germany

 

Der recht große Walnussbestand in Deutschland wurde durch die beiden Weltkriege nachhaltig dezimiert, man machte Gewehrkolben aus dem Holz. Nach dem Krieg wollte man auf möglichst kleiner Fläche möglichst viel Ertrag erwirtschaften, da passte die Walnuss nicht rein, die braucht Zeit.

 

Gut Ding will Weile haben. Das trifft vor allem auf die Walnuss zu. 5 bis 10 Jahre braucht es, bis sie Früchte trägt. Das ist eine lange Zeit, in der die Bäume gepflegt, das Land bearbeitet und kein Ertrag erwirtschaftet wird. Genau dieser Zeitfaktor macht es für Neueinsteiger so riskant.

Vivians Idee: bis zur ersten eigenen Ernte kurbelt sie das Geschäft mit fremden Nüssen an. Sie startet einen Aufruf: “Meldet euch, wenn ihr Nüsse habt, wenn es Gute sind, kaufe ich sie an.” Die Idee ist erfolgreich, in ihrem Verzeichnis finden sich inzwischen gut 400 Adressen. Zur Erntezeit im Herbst klappert Vivian alle persönlich ab und sammelt die heruntergefallenen Nüsse per Hand, um sie auf ihrem Hof weiterzuverarbeiten. Mehr regional, lokal und mehr handmade geht nicht.

Wie aus dem Ende August veröffentlichten Bericht des nationalen Agrarstatistikdienstes des U.S. Landwirtschaftsministeriums hervorgeht, wird die Erntemenge der kalifornischen Walnüsse für 2020 auf 707.604 Tonnen geschätzt. Dies entspricht einem Anstieg von 19 % gegenüber dem Vorjahr.

Die kalifornische Walnussproduktion hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt, wobei die Anbaufläche aktuell 380.000 Hektar erreicht hat und weitere 75.000 Hektar in Produktion gehen werden.

Für die Ernte kommen große Schüttelmaschinen, die mit ihren Riesenzangen den Stamm greifen und so heftig daran rütteln, dass der Baum innerhalb von Sekunden abgeerntet ist.

In Kalifornien etwa werden für die zahlreichen Monokulturen an Mandelplantagen mehr Bienen zum Bestäuben benötigt als vorhanden sind. Großimker bereisen deshalb mit ihren »Industriebienen« die Plantagen, die dort Blüte für Blüte bestäuben.

(Quellen: fruchtportal.de, biorama)

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Jetzt sind wir neugierig geworden. Das Baby ist eingeschlafen, wird vor den Bauch gespannt, wir freuen uns auf die Hofbesichtigung.  Vorbei am Hasengehege – mit Mümmelmännern, die nicht nur zum Streicheln da sind – geht es zur Baumschule. Zu dieser Zeit stehen nur noch wenige 3-jährige Walnussbäume, veredelte, die Vivian selbst auf ihrer Wiese einpflanzt. Als Pionierin bietet sie ihr Wissen auch Interessierten an, da gibt es einiges zu beachten:

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Fast wären wir vorbeigelaufen, an der “Nusswaschmaschine”. Im letzten Jahr hat noch ein Betonmischer die Arbeit erledigt, heute säubert eine alte Rüttelmaschine, die eigentlich für Kartoffeln gedacht ist, die Nüsse von den Resten der grünen Schale. Eine echte Innovation, wenn man bedenkt, welche Mengen gewaschen werden müssen.

Wir folgen ihr weiter zum Trockner. Eine recht imposante Maschine, in der die Nüsse – leider noch ohne Förderband – mit einem milden Gebläse bei 22 Grad getrocknet werden. 3 Tage lang. So verdampft das kostbare Walnussöl in den Kernen nicht mit. Nach dem Trocken wird entschieden, ob die Nuss als Tafelnuss in den Verkauf geht oder geknackt wird. 

Was verbirgt sich hinter dem nächsten Tor? Mit berechtigtem Stolz zeigt uns Vivian ihre neue Knackstraße. Eine weitere große Investition in die Zukunft. Die Maschine arbeitet mit Druck- und Warmluft. Zwei Platten knacken die Nuss in der Mitte auf, der Kern fällt heraus und ein Gebläse pustet die Schalen weg. Im zweiten Turm werden die Reste gelöst und die Kerne kommen auf ein Förderband. Bei den “wilden” Nüssen aus der Nachbarschaft ist es wie bei einer Pralinenschachtel: Man weiß nie, was man bekommt. Ca. 50 % lassen sich öffnen und lösen. Die Maschine schafft 3000 Walnüssen in der Stunde, dann wird noch mit der Hand nachsortiert und gewogen. 

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Nebenan füllen flinke, fleißige Hände blaue Tüten und Körbe für Weihnachten. Wir sind im Hofladen und staunen über die Vielfalt, die sich aus den runden Kugeln erzeugen lässt: Von der reinen Tafelnuss über Kerne, zu Spezialitäten wie gebrannten oder schwarzen Walnüssen; Öle, Senf, Liköre, sogar einen Tee gibt es, der aus den getrockneten Kämben (Trenn-Häuten) hergestellt wird, und auch ein Shampoo entdecken wir in den Regalen.

Das Landwirtschaftsministerium hat gerade 30 Pakete Walnüsse für ihre Präsentkörbe bestellt, die nach Brüssel gehen sollen. Vivians Hoffnung ist, dass die Beschenkten den Gedanken der Regionalität verstehen. 

“Dort – wo es wächst, in ursprünglichster, unverfälschter Form, ohne chemische und gentechnische Hilfsmittel” 

 

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Wir staunen noch über die Formen- und Farbenvielfalt. Über 100 Sorten hat Vivian bei ihren Recherchen ausgemacht: Große, kleine, runde, ovale, harte und weniger harte und farblich unterschiedliche, sogar dunkelrote Walnüsse gibt es und natürlich schmecken alle ein wenig anders.

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Wir decken uns mit ein paar Vorräten ein und ahnen schon, dass die kandierten Nüsse die Rückreise nicht überleben werden.

Es stimmt uns immer wieder positiv, (jungen) Menschen zu begegnen, die brennen, die ihrer Leidenschaft nachgehen, sind begeistert von ihrem Enthusiasmus und Ideenreichtum. Gerade aktuell zeigt sich, dass es einfacher ist “im System” zu arbeiten. Selbstständigkeit und Eigenverantwortung wird von staatlicher Seite, sagen wir lieber “übersehen”.

 

“Mein Traum ist, dass man irgendwann Walnüsse einkaufen geht, wie Äpfel und natürlich auch die Herkunft beachtet.”

 

Für uns gehören seit dem Besuch in der Meisterei Walnüsse aus Deutschland oder wenigstens Europa mit auf den täglichen Speiseplan. Wer jetzt noch mehr Gründe braucht, bitteschön:

  1. Walnüsse haben den höchsten Anteil an Omega-3-Fettsäuren, auch mehr als der “arme” Lachs.
  2. Auch die wichtige, mehrfach ungesättigte Linolsäure ist in Walnüssen enthalten.
  3. Zudem liefern Walnüsse Kalium, Magnesium, Zink, Eisen und Kalzium.
  4. Sie gelten auch in der Heilkunde als gesundheitsfördernd für Körper und Geist.
  5. In Walnüssen stecken sogenannte Antioxidantien, welche oxidative Vorgänge, die durch Rauchen oder Stress ausgelöst werden können, lindern.
  6. Nüsse weisen einen hohen Gehalt an Spurenelementen, Mineralstoffen und B-Vitaminen auf, enthalten genügend Aminosäuren, ungesättigte Fettsäuren, dazu Vitamin E und wertvolles, pflanzliches Eiweiß.
  7. Die Liste ließe sich noch um einige Punkte erweitern, wir würden hier gerne enden mit: Sie schmecken einfach lecker, nussig lecker.
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Die Walnussmeisterei sucht feste, eine freie Verstärkung 

Es ist inzwischen Mitte März 2021. Wir haben noch einmal mit Vivian telefoniert und sie hat uns von ihren neuen Plänen erzählt, Es wird demnächst eine Küche geben, in der sie neue Rezepturen und Ideen rund um das Thema Walnuss entwickeln werden. Wenn ihr das Thema interessant findet, einen Koch-Hintergrund habt und Lust darauf, die Walnussmeisterei von der Planung, über Rezept- und Produktentwicklung zu unterstützen, dann meldet euch bei ihr.

Walnussmeisterei Böllersen

Vivian Böllersen