Was ist das? Es sieht ein bisschen aus wie Bier, es duftet intensiv nach Obst, nach Äpfeln, und es schmeckt nach Wein?
Arno und Felix nennen sie Fruchtfermente. Modern interpretierte Cider, produziert mit Zeit, Zuwendung und Bio-Obst aus dem Alten Land. Wir haben sie besucht, gleich zweimal.
A
rno Lenz mag seinen Job als Koch und Sommelier, aber lieben tut er Cider. Diese Liebe ist groß. Wie die eines Vaters, zu seinem Kind. Je länger ich über den Vergleich nachdenke, umso passender scheint er.
Er teilt die Leidenschaft mit seinem Kompagnon Felix Cordes. Der ist gelernter Winzer, Koch und arbeitet als Foodstylist.
Mit zunehmender Begeisterung für Bio- und Naturweine wuchs auch das Interesse am natürlichen Prozess der alkoholischen Gärung. Hinzu kam der Wunsch, einen eigenen Wein herzustellen. Jedoch: ohne gescheite Trauben, keinen gescheiten Wein! Und da Hamburgs Umgebung nicht für seine grandiosen Weinberge bekannt ist, orientierten sie sich an den Früchten, die ganz in der Nähe zur Stadt, im Alten Land, in großer Menge vorkommen. 2019 gründen die beiden die klaar - fruchtfermente GmbH.
Stolz schwingt mit, als Arno von den Anfängen und den ersten Ergebnissen erzählt. Er greift in eine Kiste und holt zwei Flaschen seiner Fruchtfermente heraus. Leuchtend gelb und aufregend rot. Fröhlich zappeln die Hefen im Glas. Mary Jane und Holi Julia hat ein Filzstift auf die schlanken, mit Kronkorken verschlossenen, Flaschen geschrieben. Wir müssen noch ein wenig warten bis ihr Geheimnis gelüftet wird ...
Wir befinden uns in einer Hamburger Bio-Brauerei, die einen Teil ihrer Produktionsfläche an die beiden Gründer vermietet hat. Optimale Bedingungen für ihre noch junge Unternehmung. Darüber hinaus teilt man Werte, Qualitätsansprüche und fließendes Wasser, das zum sauberen Arbeiten notwendig ist.
Wir gehen mit Arno durch die Produktion und lassen uns die Unterschiede zwischen Cidre, Cider und Apfelwein erklären. In einem Satz lässt sich sagen, der entscheidende liegt in der alkoholischen Vergärung. Beim englischen Cider und französischen Cidre wird das Gärungs-Kohlendioxid im Wein gebunden. In der edlen Form ist das die Flaschengärung. Beim Apfelwein lässt man die natürliche Kohlensäure entweichen, um einen stillen Wein zu erhalten. Doch ganz so einfach ist es nicht.
Die konventionelle Produktion bedient sich vieler Hilfsmittel. Kohlensäure und Zucker zum Beispiel. Bei einem Naturwein gibt es in der Regel keine Hilfsmittel. Auch keine zugesetzte Kohlensäure. Kein Zucker, der nicht schon zuvor in der Frucht steckte, keine helfenden Hefen, keine Stabilisatoren oder Stopper. Es gibt ausschließlich die natürliche Frucht und, wenn gewünscht natürliche Kräuter. Es braucht Ruhe und Zeit. Nun kommt die Leidenschaft, die Berufung, das Herz der beiden Weinmacher dazu. Mit Freude, Zuwendung und handwerklicher Ausdauer stellen sie fröhlich-lebendige Fruchtweine her.
Es ist soweit. Arno öffnet eine Flasche MARY JANE, 2020, gehopftes Piquette du Feu. Unser erster Piquette.
"Wir haben den wässrigen Piquette Most anteilig eingekocht und dadurch Aroma & Zucker intensiviert. Anschließend wurde mit frischem Cascade Hopfen kalt mazeriert."
Unter Piquette verstehen die französischen Winzer den zweiten Trester-Aufguss, um so einen leichten, günstigen Wein zu erhalten, der die Erntehelfer bei Laune hält. Landarbeit war vor einigen Jahrzehnten noch körperlich schwere Arbeit, die durstig machte. Was kannten unsere Vorfahren als Durstlöscher? Das Mineralwasser war noch unbekannt und bei den Männern war Tee nicht geschätzt. Es blieben also nur noch Most und Wein. Die Bessersituierten der Bevölkerung konnten sich täglich Wein
gönnen, da sie den ja im Keller hatten, nicht aber die große Zahl der Rebleute und Knechte. Die mussten sich mit Most oder eben mit «Piquette» begnügen.
Piquette ist im Grunde also ein dünner Wein, der durch eine zweite Verwendung des Tresters entsteht. Die Pressrückstände werden mit Wasser aufgegossen, um das verbleibende Aroma zu extrahieren und anschließend zu einem leichten, erfrischenden Wein vergoren.
"Inspiriert wurden wir von "Fruktstereo" aus Malmö, die diese Methode auch bei Frucht-Trester anwenden. Zusätzlich kombinieren wir das mit noch anderen Techniken, um weitere Aromen hinzuzufügen. Wir gießen den Frucht-Trester mit Wasser auf und lassen diesen für einige Tage mazerieren. Teilweise aromatisieren wir das Wasser zum Aufgießen bereits im Vorhinein oder setzen Aromaten bei der Gärung hinzu."
Das Erste, was wir wahrnehmen, ist der Geruch. Der macht seinem Namen* schon mal alle Ehre. Man könnte auch sagen, er stinkt! Kein Grund für einen Weintrinker zurückzuweichen. Der spricht an dieser Stelle von einem „Sponti Stinker“.
Der Wein braucht Luft zum Atmen. Der Geschmack, saftig und mit frischer Hopfen-Bitternote entschädigt vom ersten Schluck an für den Nasenstüber. So darf es gern weiter gehen. (*Synonym für Marihuana).
Tut es auch. Die nächste Flasche hört auf den Namen "Cuveé 1". Dahinter verbirgt sich ein Pét Nat Cider aus 40 % Boskop, 40 % Gravensteiner und 20 % Finkenwerder Herbstprinz. Alle einzeln & sortenrein vergoren, anschließend cuvéetiert und während der Gärung gefüllt. Nach der Flaschengärung händisch degorgiert, wobei der Großteil des Hefetrubs entfernt wurde.
Was hier noch etwas sachlich-fachlich klingt, kann man auch so beschreiben: Es riecht frisch und leicht wie Heu und Blumen, mit etwas Luft und Temperatur vollmundig nach reifen Äpfeln. Schmeckt knackig trocken mit frischer Säure und Würze. Oder noch einfacher: süffig, lecker und modern.
Pét Nat ist übrigens die Abkürzung für Pétillant Naturelle, eine der ursprünglichsten Varianten der Schaumwein Herstellung. Hierbei wird der Wein zu einem bestimmten Punkt während der Gärung in Flaschen gefüllt und mit Kronkorken verschlossen. Die Gärung schreitet in der Flasche weiter voran und die dabei entstehende Kohlensäure bildet die erwünschten Bubbles. Danach sterben die Hefen ab und sinken zu Boden.
In der Wein- und besonders in der Naturweinszene sind Pét Nats zur Zeit angesagt. Hier tummeln sich bevorzugt Jungwinzer, die ihren Weg fernab von Reinzuchthefen und Konventionen gehen. Die ursprüngliche Form des Schaumweins entwickelt sich gerade vom Geheimtipp zum Trendgetränk.
Schwer begeistert sind wir auch vom Birnen-Wermut. Die Machart unterstreicht den Gedanken des vollendeten Kreislaufs: um einen Wermut zu erhalten wird der Wein während der Gärung mit einem Branntwein "aufgespritet". Arno und Felix nutzen für ihren den hefetrüben Ausschuss, der beim Degorgieren ihrer eigenen Flaschen anfällt. Aus diesem lassen sie sich dann ihren klaar Apfelbrand destillieren. Die Produktion 2019 ist bereits ausverkauft. Der 2020er noch nicht fertig. Ich stehe auf der Warteliste!
"Die Menschen erleben nur noch Convenience"
Arno kam vor 13 Jahren für seine Kochausbildung nach Hamburg. Bis heute hat er nie einen Discounter von innen gesehen. Er kocht privat aus einer regionalen Biokiste, fährt Fahrrad. Doch Arno möchte aufs Land. Für klaar hat er nun auch einen Führerschein gemacht. Auf dem Land gibt es keine Infrastruktur für den öffentlich Nahverkehr. Er träumt von einem eigenen Betrieb im Alten Land, mit Apfel- und Streuobst-Wiesen.
Von hier kommen die Demeter und Bio-Äpfel, die klaar in Fruchtweine und Wermut verwandelt. Sie verwenden ausschließlich alte Apfelsorten und möchten damit die Bauern im Bio-Anbau und die Sorten-Erhaltung unterstützen. Dazu gehört selbstverständlich eine faire Bezahlung. Hier wird nicht um Preise gefeilscht. Ein Bauer kann nur gute Ware produzieren, wenn er angemessen bezahlt wird.
Das Alte Land
Das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Nordeuropas liegt direkt vor den Toren Hamburgs. So lassen sich die Idylle des Landlebens mit den aufregenden Aktivitäten in der Großmetropole gut vereinen. Es ist eine von Menschenhand planmäßig angelegte Kulturlandschaft, die einzigartig in Deutschland ist. Vor über 800 Jahren haben Siedler unter Anleitung holländischer Kolonistenführer mit viel Fleiß und unter großen Entbehrungen dieses Land dem Wasser abgerungen und eine blühende Landschaft geschaffen. Von nix kommt nix!
Ursprünglich ein so feuchtes und auch immer wieder überflutetes Gebiet wurde in kräftiger Handarbeit urbar gemacht. Entwässerungsgräben wurden gezogen und nach und nach konnte das Land besiedelt werden. Während der Arbeiten wurde das Land, das bereits bearbeitet war, das “Alte Land” genannt, wohingegen das noch nicht bearbeitete Land das “Neue Land” war. Irgendwann waren die Arbeiten abgeschlossen und alles Land konnte besiedelt und bebaut werden, sodass nun das gesamte Gebiet das “Alte Land” war.
quelle: https://www.tourismus-altesland.de/
Die Supermärkte und Discounter füllen ihre Regale mit extra gefällig und auf süße gezüchteten Äpfeln, die weniger an unseren heimischen Bäumen wachsen. Hinzu kommt, dass die Rechte an den neuen Sorten kein Allgemeingut sind. Ein Bauer, der solch einen modernen Apfel anbauen möchte, um Zugang zu dem großen Absatzmark beim Discounter zu finden, muss zahlen. Zahlen an den Eigentümer der Apfelsorte.
Analog zum Patentamt gibt es das Bundesamt für Sortenschutz. In Deutschland und in fast allen Ländern dieser Erde. Unternehmen lassen sich einzelne Sorten von Obst, Gemüse und was auf unserem Planeten wächst, schützen. Die Sorten werden gekreuzt, "veredelt", neu gezüchtet. Alte Sorten, die nicht nachgefragt werden, sterben aus, und für den Anbau der neuen müssen die Landwirte extra Lizenzen zahlen.
F
elix ist schon angekommen, im Alten Land. Der Vater von Zwillingen ist vor ein paar Jahren in die Nähe von Jork gezogen. Für seinen Day-Job fährt er täglich in die Stadt, das ist es ihm wert.
Schön, dass wir nun auch die zweite Hälfte von klaar persönlich kennenlernen. Wir arbeiten selbst im Team und wissen, wie wichtig jeder Einzelne und die Aufgabenverteilungen sind. Treffpunkt ist der Bio-Obsthof, von dem sie die meisten ihrer Äpfel für die Produktion beziehen. Gemeinsam stapfen wir durch die Haine und pflücken die ein oder andere vergessene Frucht von den geernteten Bäumen. Sie noch immer süß und saftig. Im Frühling erstrahlt hier alles in einem weiß-rosa Blütenmeer, aber auch der frühe Winter hat seinen eigenen Reiz. Nach einer Weile bleiben wir an den hochstämmigen Birnenbäumen stehen. Eine Seltenheit, werden die Stämme zur Vereinfachung der Ernte doch seit Jahren runtergestutzt. An diesen Exemplaren wachsen die Früchte, die im Wermut stecken und die in den Perry Cider kommen, den es wohl in 2021 geben wird.
"Die gemeinsame Leidenschaft für Kulinarik war der Ausgangspunkt für die Idee. Gedanken darüber, wie Speis und Trank hergestellt, wertgeschätzt und konsumiert werden, führten zu dem Entschluss, ein eigenes Getränk herstellen zu wollen. Nicht nur dieses gemeinsame Interesse, sondern auch die bisherige Profession hat uns zusammengebracht.
Arno & Felix
Als Stylist hat Felix täglich mit Essen zu tun. Nicht immer kann dabei auf Bioqualität geachtet werden, auch wenn er versucht, darauf Einfluss zu nehmen.
#foodforthought #gedankenanstoss
Guter Geschmack ist – modern interpretiert ...
Konzentration auf das Wesentliche. Den Zufall einladen. Nicht verzagen. Ausprobieren, experimentieren, weiterentwickeln, verwerfen, neu machen. Bedenke: »When too perfect, lieber Gott böse.«* Sich selbst und andere überraschen. Konventionen über Bord schmeißen. Den eigenen Weg finden. Und wenn jemand kommt und meint, das geht nicht, so tun, als wüsste man es nicht. Das Ganze genießen!
*Nam June Paik
klaar - fruchtfermente
Felix Cordes & Arno Lenz
- Maxstraße 42
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- https://www.klaar-fruchtfermente.de