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Fisch in Gezeiten der Aufklärung

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Es ist fünf nach zwölf. Für die Welt und für uns, als wir den Laden in Börnsen, ca. 30 km vom Hamburger Stadtzentrum entfernt, betreten. Moin. Hinter der Maske lächeln uns die freundlichen Augen eines jungen Mannes entgegen. Es ist ganz sicher nicht Sebastian Baier. Der soll ca. 2 Meter groß und eher blond sein, Typ Seebär. Dieser hier ist so groß wie ich, dunkelhaarig mit spanischem Akzent.

Sebastian wurde in die Kita gerufen, er ist erst morgen wieder da. Wir haben gute 90 Minuten hinter und wohl auch schon wieder vor uns. Doch Blas, 28, gelernter Koch und leidenschaftlicher Andalusier, lässt uns noch nicht von der Angel: “Ich kann das auch. Fragt mich ruhig, ich werde alles gut beantworten.” An seiner Kompetenz besteht kein Zweifel. Außerdem ist er mit einem Messer bewaffnet, da wollen wir nichts riskieren.

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ch bin dennoch enttäuscht, hatte ich doch auf die klassischen Foto-Motive gehofft. Möchte so gerne mehr über den Menschen Sebastian Baier erfahren. Was treibt ihn an, was ist ihm wichtig, wie fing alles an, wie soll es weitergehen ..?

Keine Zeit für Trübsal. Pia ist bereits tief in die Meereswelt abgetaucht, mit Blas. Der steht vor einem Dry Ager, in dem die  Fischstücke hängen, wie Schinken zum Reifen.

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Hauptsache Frisch

Fischveredler Baier experimentiert mit ‚eingefleischten’ Reifetechniken bis zum fünften Geschmack. Qualität aus nachhaltigem Fang sind sein oberstes Gebot. Die Technik beherrscht außer ihm bisher nur noch ein Kollege auf der anderen Seite der Welt. Auch wir sind neugierig, deshalb sind wir hier.

Was uns neben dem Ager noch ins Auge oder besser in die Nase sticht, ist – Nichts. Viele Jahre lang habe ich Fisch gekauft, um ihn für Werbezwecke zu fotografieren. Ich erinnere mich noch gut an den oft strengen, bissigen, manchmal muffigen Geruch der Auslagen bei den etablierten Händlern der Stadt. Bis heute ging ich davon aus, das muss so sein. Hier müssen wir uns schon anstrengen, einen leichten Hauch von Salzwasser zu erschnuppern.

Ein sorgfältiger, sehr früher Einkauf und modernste Kühlanlagen sorgend dafür, dass es hier, hinter den klaren Scheiben und auf den blanken Edelstahlflächen ziemlich frisch zugeht. Oder eben ziemlich abgehangen, 6 Wochen mindestens.

Blas holt einen der Thuna-Pastrami vom Haken. Sein Damaszener-Messer gleitet durchs Fleisch.

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Abhängig von der Fischsorte lässt Baier sie für zwei bis drei Wochen bei +1 Grad in seinem Kühlraum hängen und in Ruhe reifen. Nach drei Wochen ist der Fisch komplett geruchslos, butterzart, hat eine tolle Konsistenz und ist in bestem Maße veredelt. Dieses Verfahren ist in Deutschland einzigartig, weshalb Baier den Fisch in einem Labor mikrobiologisch testen ließ. Ergebnis: absolut unbedenklich.

Blas reicht uns eine dünne Scheibe zum Verkosten. Da ist sie, die viel beschworene fünfte Geschmacksrichtung, den Hochgenuss, den die Japaner umami nennen.

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“Wie Ihr bereits wisst, ist uns das Thema Nachhaltigkeit sehr wichtig. Dies behaupten wir nicht nur, sondern leben und arbeiten auch danach. Zum Beispiel wird bei uns darauf geachtet, dass kein Fisch bei Euch auf dem Teller landet, der mit industriellen Grundschleppnetzen gefangen wurde.

Außerdem wird kein Fisch in seiner Laichzeit gehandelt!”

Sebastian Baier

Blas’ Begeisterung für die Produkte in “seinem” Laden brennt weiter. Er verschwindet durch die Schwingtür in den Kühlraum und kommt mit einem Prachtkerl von Lachs zurück. Handgeangelt von einem polnischen Fischer, einer von vier “Überspringern”, die Baier alle gekauft hat. Darunter versteht man silberblanke und gut genährte Fische, die eine Laichperiode übersprungen haben und in bester konditioneller Verfassung sind. Zuchtlachs hingegen handelt er nicht. Punkt.

Der Fischladen in Börnsen ist inzwischen kein Geheimtipp mehr. Die Presse berichtet viel und gerne über den mutigen und manchmal auch unbequemen Freigeist.

Nicht nur Spargel, Birnen und Wild & Co., besonders Fisch ist ein saisonales Produkt. Baier achtet darauf, die Fische tunlichst nicht zu ihren Laichzeiten zu handeln, so bleibt die Nachzucht gesichert. Einige seiner Kunden wanderten schon ab, weil sie Thunfisch, Lachs und Rotbarsch uneingeschränkt das ganze Jahr über kaufen wollen. Aber wenn es um Fisch und um Haltung geht, kennt Baier keine Kompromisse und klärt lieber auf.

#goodtoknow : Dem beliebten Rotbarsch gönnt Baier traditionell ab Ende Februar bis Ende August eine kleine Schonzeit. Er ist ein ganz sensibler Bursche. Da er erst nach ca 12 (!) Jahren geschlechtsreif ist und nur sehr wenige Eier ausbrütet, macht ihm die ganzjährige Jagd nach ihm sehr zu schaffen. Gerade in der Zeit, in der er seine reifen Eier in sich trägt, wird er besonders stark befischt, da er traditionell in der Osterzeit gern bei ahnungslosen Fischliebhabern auf dem Teller landet.

 

Neben Mindestmengen und Fangquoten, müssen die Laichzeiten der Fische eingehalten werden. Auch der Kabeljau dürfte drei bis vier Monate nicht gefangen werden. Das würde sehr helfen, die Bestände aus eigener Kraft gesunden zu lassen. Wildlachs gibt es hier im besten Fall zweimal im Jahr. Thunfisch gar nicht!

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Wie? Kein Thunfisch? Hat uns Blas nicht gerade eine Thunfisch- Pastrami zum Verkosten gegeben? Hat er! Sebastian hat die Flosse und das Herz eines Blauflossen-Thunfischs auf dem Fischmarkt mitgenommen. Für die Händler ist das Abfall. Das kauft keiner. Und Lebensmittel wegwerfen ist für Sebastian ein No-Go. Für ihn eine prima Gelegenheit, neue Dinge auszuprobieren.

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Zuerst gibt es Lob für seinen engagierten und kompetenten Mitarbeiter Blas, der uns in eine neue Fischwelt mitgenommen hat. In der ersten Lockdownphase hat der den Koch, der früher bei der “Kitchen Guerilla” gearbeitet hat,  zum Verkäufer „umfunktioniert”. “Ich hab nur Quereinsteiger, die sich begeistern für das Fach und die das Herz am rechten Fleck haben. Scheint gelungen!

Wenn Ottonormalmensch gerade im Tiefschlaf lag, stand er auf. Wenn die anderen zur Arbeit gingen, hatte er bereits einen Arbeitstag hinter sich. Im modernen Bistro, das auch auf Sylt oder Norderney stehen könnte, ging die Arbeit dann weiter, häufig bis spät am Abend. Zwei, drei Stunden Schlaf waren eher die Regel, als die Ausnahme. Das konnte nicht lange gut gehen. Nicht familiär und gesundheitlich schon gar nicht. Sebastian hat den Weckruf verstanden und einiges in seinem Leben verändert. “Momentan gehe ich ganz artig um 20 Uhr ins Bett”, sagt er schmunzelnd. Heute kann er Aufgaben abgeben, sich verlassen und loslassen. Die intensive Zeit hat ihn auch ein paar graue Haare gekostet, wir finden, sie stehen im gut.

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Jenseits von Frikadelle – jetzt machen wir Schinken!

Angefangen hat alles vor ein paar Jahren mit einer Bernstein-Makrele. Die wog 85 kg reiner “Größenwahn” und schmeckte furchtbar. Mineralisch, muffig, voll mit Proteinen. Die durfte dann zuerst ein paar Tage abhängen, damit die Eiweißketten sich abbauen, so verschwindet der Geruch. Dann pökeln, räuchern, wieder abhängen. Die ersten Versuche fanden noch in der damaligen Versuchsküche von Gruner & Jahr statt. Zufällig war Tim Mälzer dabei und sofort begeistert: “Bring gleich mal welche mit, in Die Gute Botschaft.”

Sebastian hatte angefangen Fisch-Schinken zu produzieren.  Inzwischen ist das Dry Agen von ganzen und großen Fischen seine Passion. Die Idee ging durch die Presse. Sie war nicht nur kulinarisch begeisternd, sondern auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. Nose-To-Tail funktioniert jetzt auch beim Fisch.

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Vor Kurzem hat er mit Michael Wickert (Agrarwissenschaftler und Gründer von Glut & Späne) eine Beratungsfirma gegründet. Ihre Vision: die Vernetzung von großen Ideen und kleinen Betrieben im Bereich Fisch & Seafood. Als THE GOOD FISH GUYS möchten sie ein ernstes Thema mit viel Passion und maßgeschneiderter Expertise erlebbar, spürbar und nachvollziehbar machen. Sie beraten Gastronomen und Fischhändler. Das Nobelhart und Schmutzig beispielsweise. Die haben Fisch aktuell von der Karte genommen, weil sie unzufrieden und unschlüssig sind. Die jungen Familienväter haben eine Mission.

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Ich traue den Labeln nicht. Wir vertrauen nur unseren eigenen, viel strengeren Maßstäben

Lachs, Kabeljau, Thunfisch, Hering. In der Reihenfolge kaufen die Deutschen laut MSC am liebsten Fisch. Lachs hat den Hering in der Beliebtheit überholt. Hering, der Speisefisch Europas schlechthin. Der begehrte Blauflossen-Thunfisch beschreibt ein Milliarden-Geschäft. Und das, obwohl der bis zu 2 Meter groß werdende Fisch auf der Roten Liste gefährdeter Arten als „Vom Aussterben bedroht” aufgeführt wird. Wenn es nach Sebastian geht, darf man diesen Fisch gar nicht mehr kaufen. Nicht frisch, nicht in Dosen, nicht gefroren und auch nicht “Hand geangelt” von FollowFish. Deren Ansatz ist im Grunde gut, allerdings handelt es sich nie um frische Ware. Der Fisch wird immer mindestens einmal eingefroren und bei machen Arten, “verzettelt” man sich dann doch.

Was denn von dem MSC-Label zu halten sei? Das steht immerhin für nachhaltige Befischung des Bestandes, geringe Auswirkungen auf die Lebensräume im Meer und ein effektives Management und prangt im Supermarkt-Kühlregal auf vielen Packungen? „Ich persönlich glaube, dass die großen Player das kaufen können und es eher zur Gewissensberuhigung der Konsumenten dient. Ich traue dem überhaupt nicht.”

Marine Aquakultur ist für Sebastian das pure Grauen, ökologisch und gesundheitlich unakzeptabel. Wir fragen nach Forellenteichen. Das seien in der Regel Kreislaufanlagen ohne Frischwasser und mit minderwertiger Fütterung. Doch es gibt auch die Guten. Hier empfiehlt Sebastian unbedingt auf das Label Naturland zu achten und nachzufragen. Was wird gefüttert? Wie vielen Fische leben im Teich?

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Schon der Vater von Sebastian hat sehr achtsam gehandelt. “Mein Vater hat nichts verkauft, was er nicht mit gutem Gewissen anbieten konnte. Pangasius zum Beispiel kommt aus Vietnam, Viktoria Barsch aus Afrika. Da er nicht wusste, wie die Menschen dort arbeiten, wie der Fisch gefangen wird, hat er ihn nie gehandelt. Und außerdem nehmen wir den Leuten vor Ort eine wichtige Proteinquelle. Das war einfaches, logisches Denken. Damit war auch er seiner Zeit voraus.” Wenn man Sebastian nach seinem Vorbild fragt, kommt die Antwort spontan: mein Vadder. Heute ist sein Sohn der “Querdenker” und Botschafter für guten Fisch.

Er möchte die Verbraucher dazu anregen, ihr Konsumverhalten zu überdenken. Dabei geht nicht darum zu zeigen, was alles schlecht ist, sondern das, was gut ist. Wir müssen weg vom Massenkonsum. Lieber nur einmal die Woche richtig gut, als mehrmals schlecht.

 

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“Ich möchte ja auch, dass meine Kinder sich nicht nur von Krill ernähren.”

So langsam juckt es ihn in den Fingern. Die Kunden kommen und gehen. Sebastian zieht es an den Tresen zur Unterstützung. So ganz kann er nicht aus seiner Haut.

Das Ganze ist ein langsamer Prozess. Es gibt es ja schon einen beginnenden Grünen Sozialismus hier in Deutschland. Das kommt von oben und von unten, jetzt muss er in der Mitte ankommen.

Hat er Sozialismus gesagt? Jahrzehnte hindurch galt sozialistisches Denken als ewig gestrig oder hoffnungslos illusionistisch und war aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt worden. Nun, in Zeiten der Krisen und des Wandels treten die Grenzen des Kapitalismus zutage.

Ich bin da ganz zuversichtlich, meint Sebastian. Ich möchte ja auch, dass meine Kinder sich nicht nur von Krill ernähren. Wir haben nur dieses eine Ökosystem, das gilt es zu erhalten. Wir müssen an den wichtigen Stellschrauben drehen.

Die Idee gefällt uns gut. Grüner Sozialismus. Den Gedanken werden wir mit auf die Rückfahrt nehmen. Aber heute ist Freitag, da gibt es Fisch. Der vor unserer Nase kommt aus Europa, Ost- und Nordsee, dem Nordatlantik, Mittelmeer und natürlich aus  europäischen Binnengewässern.

Was denn bei ihm im Kühlschrank nicht fehlen dürfe, wollen wir noch wissen? Bier, Buttermilch und roter Heringssalat. Den nehmen wir auch. Außerdem noch Kabeljau und Lachsforelle. Das werden wir genießen und erst in ein paar Wochen wiederkommen.

Als wird den Laden verlassen, biegt ein Auto um die Ecke. Freundlich winken Sebastian und seine Kinder uns zu. Family First, es geht doch.

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#foodforthought  #gedankenanstoss  

Guter Geschmack ist – Verzicht

Alles hat seinen Preis. Kennst du ihn? Wir haben uns an die dauernde Verfügbarkeit von allem gewohnt. Es gibt fast alles, jeden Tag im Jahr. Unabhängig von Regionalität und Saison. Das ist so schön bequem, aber es hat seinen Preis. Für uns, weil wir das Gespür verlieren für den Wert und das Besondere. Für Flora und Fauna, weil sie sich nicht erholen kann, bis sie nicht mehr verfügbar ist. Eine Idee ist der Verzicht. Welchen Preis bist Du bereit zu zahlen?

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